2024 als das Ende von IPv4 vorausgesagt

An der diesjährigen IPv6 Business Konferenz sagte Martin Gysi von Swisscom 2024 als das Ende von IPv4 voraus. Der Kern des Internets ist IPv6-ready, Microsoft testet das IPv6-only-Netzwerk und Nathalie Trenaman von RIPE füttert ihre Katze über einen IPv6-Roboter, wenn sie an Konferenzen auftritt. Erstmals stieg zudem die Useradoption von IPv6 in der Schweiz über die 20% Marke.
 
 
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Für 2024 das Ende von IPv4 vorausgesagt
Bereits über 20% IPv6 User in der Schweiz.

Zürich, 23. Juni 2015. An der diesjährigen IPv6 Business Konferenz zeigte Martin Gysi von Swisscom auf, weshalb Swisscom nach seiner Schätzung bis im Jahr 2024 fast ausschliesslich IPv6-only Netzwerke haben wird. Der Kern der 300 wichtigsten Internet-Hubs ist IPv6-ready.  In der Schweiz surft bereits jeder fünfte Internetuser mit IPv6.

„Meine Einschätzung bleibt ein Blick in die Kristallkugel“, so Martin Gysi, Technical Cluster Leader for IP Network Engineering bei Swisscom. Er hat die Zunahme des Internettraffics mit der Verteilung von IPv6 zu IPv4 in Relation gestellt und die Entwicklungen hochgerechnet. „Bereits 2018 zeigen die Modelle mehr IPv6 als IPv4 Traffic. 2024 wird IPv4 bei Swisscom nur noch eine marginale Rolle spielen und sozusagen ausgestorben sein.“

Swisscom hat Anfang Juni eine weitere Welle an IPv6 Usern aktiviert: Zwei Drittel aller Swisscom Benutzer surfen mittlerweile dual-stack im Internet. Dual-stack bedeutet, dass je nach Verfügbarkeit der angesprochenen Webseite IPv6 oder IPv4 als Protokoll benutzt wird. 31% des Traffics der dual-stack-fähigen Benutzer entfallen mittlerweile auf IPv6 Zugriffe. 

Das Internet ist IPv6-ready

Alain Fiocco, Sr Director Cisco IPv6 HIP, beleuchtete die IPv6 Verteilung in seiner Präsentation differenziert: „Ungewichtete Gesamtzahlen sind trügerisch. Zum Beispiel sind „nur“ 73 der 500 Schweizer Top-Alexa-Webseiten IPv6-enabled. Aber diese Seiten sind für mehr als 50% aller Requests verantwortlich.“ 

Dasselbe gelte für die Gesamtbetrachtung der AS-Transitsysteme im Internet. Die 30 wichtigsten Hubs sind zu 100% IPv6-fähig. Über diese 30 Hubs laufen momentan ca. 80% des gesamten Internet-Traffics. Die Top 300 mit 95% des Internet-Surfvolumens sind zu 85% IPv6-ready. „Die Frage im Internet Backbone lautet nicht mehr IPv4 oder IPv6, sondern dual-stack oder IPv6-only“, fasst Fiocco die Situation der Provider zusammen. Auch Swisscom hat mit Voice over LTE (VoLTE) im Juni 2015 das erste IPv6-only Produkt für Mobile-Nutzer lanciert. Martin Gysis Einschätzung dazu: „IPv6 hat die Labore verlassen und ist auf dem Markt angekommen.“

Gute Gründe für IPv6

Gemäss Untersuchungen von Facebook können Mobile User über IPv6 im Schnitt zu 35% schneller auf die Facebook Inhalte zugreifen als über IPv4. Die Gründe liegen in der Direktheit der Verbindung: Aufgrund der IPv4-Adressknappheit müssen IPv4-Anfragen oft über mehrere sogenannte NATs (Network Adress Translation) geleitet werden, was die Performance beeinträchtigt. Bei IPv6 können die User mit dem gewünschten Server direkt verbunden werden. 

Marcus Keane, Principal Network Architect Microsoft IT, begleitet den internen IPv6-only-Piloten in Seattle. Das Ziel: Ein Gebäude in Redmond mit etwa 200 Mitarbeitern von Microsoft läuft komplett und ausschliesslich über IPv6. Der Pilot wurde Anfang Jahr mit 10 Usern gestartet und soll Erkenntnisse zu Betrieb und Skalierbarkeit von IPv6-only-Netzwerken liefern. Der nächste Schritt ist die Ausdehnung auf das ganze Gebäude. „99% aller Dienste funktionieren problemlos. Weshalb aber die Laptops nach dem Ruhezustand sich nicht wieder in das IPv6 Netzwerk integrieren, stellt uns vor Rätsel“, so Marcus Keane. Die Erkenntnisse helfen aber auch, das eigene Produkt bezüglich IPv6 zu optimieren. „Unsere Vision lautet IPv6-only wo immer möglich. IPv4 werden wir in Inseln isolieren und via NAT an unser IPv6 Netzwerk anbinden.“

Als Hauptgründe für IPv6-only nennt Marcus Keane die verringerte Komplexität, Fokus auf eine zukunftsfähige Technologie, weniger Troubleshooting und einfacheren Know-how-Aufbau bei den Mitarbeitern: „Dual-stack ist enorm aufwändig im Betrieb, da alle Engineers über beide Technologien im Detail Bescheid wissen müssen und die wechselseitigen Effekte bei Neu-Implementationen teilweise unvorhersehbar sind.“

Barrieren und Hindernisse

Gemäss Keane stellen die IPv4-only-Legacy-Applikation eine grosse Herausforderung dar: „Es ist nicht so, dass wir diese Applikationen nicht einbinden können, aber die Application Owner wollen kein Budget für die Migration von Legacy Applikationen verwenden. Die Applikation verrichtet ihren Dienst, die Verantwortlichen haben den Auftrag, die Kosten in ihrem Bereich zu reduzieren. Neue Applikationen werden selbstverständlich mit Fokus auf IPv6-Readiness entwickelt. Eine Umstellung auf IPv6 im gesamten Unternehmen ist jedoch mit wesentlichen Kosten verbunden. Hier ist das Management mit einer klaren IPv6-Strategie gefordert.“

„Wir lernen jeden Tag, so Keane weiter über seine Herausforderungen bezüglich Skalierbarkeit von IPv6-only-Netzwerken, wenn diese bestehende IPv4-Infrastrukturen ablösen sollen. „Wie wir die restlichen Standorte und die übrigen 120‘000 Mitarbeiter in unsere IPv6-only-Vision integrieren, wissen wir aber noch nicht genau.“

@Home als Treiber von IPv6-only

Nathalie Künneke-Trenaman, IPv6 Program Manager RIPE und begeisterte IPv6@Home-Anwenderin, stellte vor, was sie in ihrem Zuhause über IPv6 heute verwaltet: Webcam, Thermostat, LED und sogar einen Snack-Roboter für ihre Katze. „Cisco schätzt, dass im Jahr 2020 rund 50 Milliarden Geräte im Einsatz stehen, die in irgendeiner Weise mit einem Menschen verbunden sind. Bereits ist das Ausmass an Vernetzung gewaltig, wie z.B. die Webseite thingful.net aufzeigt“, so Künneke-Trenaman. „IPv6 ist das passende Protokoll dazu. Der Bedarf an Vernetzung ist ein Treiber für IPv6-only-Netzwerke.“

Momentan sei noch nicht absehbar, wie sich das Internet of Things (kurz IoT) entwickle. „Das Interessante an diesem Markt sind nicht nur Geräte- und Serviceverkauf, sondern vor allem Daten. Deswegen bauen Hersteller ihre eigenen proprietären Systeme mit eigenen Protokollen, um die Informationen über Userverhalten zu sammeln, auszuwerten und weiter zu verkaufen. Das Potential an Wissen über einen Kunden rechtfertigt den Preis, den Google für Nest bezahlt hat“. Künneke-Trenaman wünscht sich mehr Kontrolle über ihre eigenen Daten, was mit OpenSource und IPv6 in Zukunft sicherlich zu bewerkstelligen sei. Convenience und Usability sprechen aber für integrierte Lösungen von Herstellern, auch wenn die Gefahr eines Lock-in-Effekts bestehe. 

Jahrelange Ko-Existenz von v4 und v6

An der IPv6 Business Konferenz mit 130 Teilnehmern und 20 internationalen Experten waren sich die meisten einig: IPv6 hat den Tipping Point überschritten und ist nun Mainstream. Martin Gysi von Swisscom betonte: „Wir sind sehr gut im Erstellen neuer Bündel von Dienstleistungen. Wir können aber weniger gut ältere Services vom Markt nehmen. Unsere Kunden können deshalb noch sehr lange mit IPv4 bei Swisscom rechnen.“

Georg Kirchmair, Senior System Engineer bei Swarovski, dessen Firma auf dem Weg zu IPv6 gerade in den USA den Provider wegen mangelnder IPv6-Unterstützung gewechselt hat, nahm in der abschliessenden Panel-Diskussion Stellung zur Situation von KMU: „Für unser Unternehmen im Manufacturing-Bereich wird die Koexistenz von IPv4 mit IPv6 noch Jahre andauern. Bei uns laufen immer noch Produktionsmaschinen mit Embedded Systemen, auf denen legacy Betriebssysteme laufen. Und diese Maschinen haben einen Lebenszyklus von 15 Jahren. Solange werden wir sicherlich IPv4 im Einsatz haben.“

Das Swiss IPv6 Council als Organisatorin der IPv6 Business Konferenz schaut gespannt auf die nächsten Jahre, die Entwicklung läuft rasant. Wir schliessen mit den Worten von Martin Gysi betreffend IPv6-only im Jahre 2024: „Ich lehne mich mit meiner Festlegung aus dem Fenster. Aber bei einem Punkt bin ich mir sicher: Die Zukunft bleibt ein Blick in die Glaskugel.“ 

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